Bosch Schwäbisch Gmünd: Rebellion gegen die IG Metall

Angesichts der gewaltigen Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne in der Auto- und Zulieferindustrie entwickelt sich eine Rebellion gegen die IG Metall und ihre Betriebsratsapparate, die diese Angriffe durchsetzen. In der Bosch Automotive Steering GmbH in Schwäbisch Gmünd, Teil des größten Zulieferkonzerns der Welt, ist dies weit fortgeschritten. Dort steht die Gründung einer neuen gewerkschaftlichen Organisation in Opposition zur IG Metall unmittelbar bevor.

10.000 protestieren im März 2024 in Gerlingen bei Stuttgart gegen den Arbeitsplatzabbau bei Bosch

Am 22. November letzten Jahres hatte die Bosch-Geschäftsleitung in Schwäbisch Gmünd die 3.450 Beschäftigten in einer Betriebsversammlung darüber informiert, dass bis 2030 vor allem in der Produktion der Lenksysteme 1.900 Stellen wegfallen sollen.

Das war Teil der Ankündigungen im gesamten Konzern 9.000 Arbeitsplätze zu streichen. Diese Zahl ist dann im vergangenen September nochmals um 13.000 erhöht worden. Es ist der größte Abbau in der Geschichte des Unternehmens. Die Robert Bosch GmbH beschäftigt weltweit rund 418.000 Mitarbeiter, davon knapp 130.000 in Deutschland, die meisten – rund 87.000 – in Forschung und Entwicklung.

Schon seit 2017 hatten IG Metall und Betriebsrat „Eckpunktepapiere“ und „Standortsicherungsverträge“ vereinbart. Darin beschlossen war die Senkung der Beschäftigtenzahl in Schwäbisch Gmünd bis Ende 2026 auf 2.850 Stellen. Nun sollten ab 2027 weitere 1.300 abgebaut werden. Inzwischen haben der Betriebsrat und die IG Metall den Abbau auf 1.700 statt wie ursprünglich geplant 1.550 Arbeitsplätze unterschrieben.

Der IGM-Apparat hat dies wie schon tausend Male zuvor in anderen Unternehmen gerechtfertigt. „Wir mussten schmerzhafte Kompromisse machen“, spulte Heike Madan, Erste Bevollmächtigte der IG Metall in der Region, nach Vertragsunterzeichnung im Juni routiniert herunter. „Angesichts der sehr schwierigen Ausgangslage haben wir jedoch ein akzeptables Ergebnis erreichen können,“ log die IGM-Funktionärin. Und ja, es gibt auch eine Standortgarantie, die das Papier nicht wert ist, auf der sie steht, diesmal bis 2030.

Bosch wird die Produktion im Werk II schließen. „Von 36 Hektar behält Bosch sechs Hektar, der Rest ist zu vermarkten“, berichtete Gmünds Sprecher für Wirtschaftsförderung Alexander Groll Mitte Oktober im Gemeinderat. Im Besitz von Bosch blieben nur die Verwaltungs- und Bürogebäude sowie eine Teststrecke. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Andreas Reimer behauptet, nichts darüber zu wissen.

Bosch erklärt, das Unternehmen wolle durch den Stellenabbau wieder wettbewerbsfähig werden. Um Kosten zu senken, wird die Produktion für Nutzfahrzeuglenksysteme nach Ungarn verlagert – mit Unterstützung der IG Metall.

Gegen diese Politik und die Rolle der IG Metall, die derzeit Millionen von Arbeitern am eigenen Leib erfahren, entzündete sich bei Bosch in Schwäbisch Gmünd bereits früh Opposition. Der damalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Hüseyin Ekinci hatte sich geweigert, eine Geheimhaltungsvereinbarung zu unterschreiben und hatte die Belegschaft auf einer Betriebsversammlung über die Geheimgespräche und Pläne von IGM, Betriebsrat und Management informiert. Daraufhin wurde er auf Treiben des Betriebsrates unter dem Vorsitz von Claudio Bellomo abgewählt.

Auch Bosch-Betriebsrat Mustafa Simsek opponierte. Er warf einigen Betriebsräten vor, Monate zuvor von den Abbauplänen durch die Geschäftsleitung erfahren und sie geheim gehalten zu haben. Er berichtet, dass die Geschäftsleitung bereits am 5. und 12. November 2024 und damit mehrere Tage vor der Ankündigung des Abbaus am 22. November mit Betriebsratsmitgliedern gesprochen habe, auch über „die Schließung von Werk II“. Seine Fragen nach den Gründen für die Geheimhaltung auf einer Betriebsversammlung von Bosch beantworteten die Geheimniskrämer nicht.

Simsek bereitet daher die Gründung einer neuen gewerkschaftlichen Organisation vor, um wieder Belegschaftsinteressen vertreten zu können. Die neue Organisation befinde sich bereits in Gründung und soll bundesweit aktiv sein. Mustafa Simsek kündigt an: „Wir denken groß und wollen groß handeln.“ Bereits rund 200 Beschäftigte seien dabei, er erwartet viele weitere: „Wir werden einen Ansturm bekommen. Die Bewegung ist zu einer ‚Lawine‘ geworden, die nicht mehr zu stoppen ist.“

Selbstbewusst erklärt Simsek: „Die Geduld vieler ist am Ende. Jetzt organisieren sich die Beschäftigten selbst.“ Die IG Metall habe sich von den Sorgen der Menschen entfernt. „Wenn eine Gewerkschaft ihre Stimme verliert, müssen die Arbeitnehmer ihre eigene erheben.“ Der neue „Arbeitnehmerverein“ sei „ein Warnruf an die gesamte Republik“. Er betont: „Was hier passiert, ist ein Weckruf für alle Beschäftigten in Deutschland: Wir müssen unsere Interessen wieder selbst in die Hand nehmen.“ Der Verein soll offen für alle sein, „Herkunft, Religion, politische Haltung – das spielt keine Rolle“.

Mustafa Simsek hat sich dem Apparat entgegenstellt und deshalb Unterstützung unter Arbeitern gefunden. Die Resonanz auf seine Initiative zeigt die enorme Wut über das Co-Management der IG Metall. Diese Rebellion gegen den Apparat und die Selbstorganisation von Arbeitern ist begrüßenswert, aber entscheidend ist, dass sie wirklich von den Arbeitern getragen wird und nicht zu einem neuen bürokratischen Apparat wird. Sie muss demokratisch und rechenschaftspflichtig und international ausgerichtet sein.

Sie muss kompromisslos sein. Die Arbeitsplätze und Löhne, die Lebensgrundlage der Arbeitermassen, dürfen nicht Verhandlungsmasse sein, um die Wettbewerbsfähigkeit, sprich Profite, des Unternehmens zu sichern.

Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) begrüßen die Selbstinitiative der Belegschaften. Vor vier Jahren haben wir den Aufbau der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees initiiert. „Die Gründung der Internationalen Arbeiterallianz ist die unabdingbare Antwort auf eine globale Krise“, schrieben wir im Aufruf und riefen Arbeiter weltweit auf, „sich zu organisieren, unabhängig von Gewerkschaftsapparaten und Bürokratien, um gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen“.

Die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees schafft ein Netzwerk unabhängiger und demokratischer Aktionskomitees von Arbeitern in Fabriken und Betrieben auf internationaler Ebene. Sie dient als Instrument zur Koordination und zum Austausch von Informationen unter Arbeitern weltweit, um gemeinsam Beschäftigte, ihre Arbeitsplätze, Löhne und Errungenschaften zu schützen und zu verteidigen.

Die internationale Ausrichtung der Arbeiterallianz entspricht dem internationalen Charakter der Produktion und des Kapitalismus. Es ist selbst dann unmöglich für Arbeiter, ihre Arbeitsplätze und Rechte wirksam zu verteidigen, wenn sie großen Einsatz und Kampfbereitschaft zeigen – solange sie dabei auf sich allein gestellt sind und vom Rest der internationalen Belegschaften eines weltweit tätigen Konzerns getrennt bleiben.

Mustafa Simsek und seine Mitstreiter wollen „kompromisslos“ Arbeitsplätze verteidigen. „Wir werden nicht zulassen, dass hier still und heimlich Jobs abgebaut oder ins Ausland verschoben werden. Wir stehen für die Menschen hier vor Ort – und zwar entschlossen“, so Simsek. Doch für die „Menschen vor Ort“ ist der Zusammenschluss mit den Menschen in aller Welt absolut notwendig. Die Arbeitsplätze in der Nutzfahrzeugproduktion beispielsweise können ohne die Kolleginnen und Kollegen in Ungarn nicht verteidigt werden.

Arbeiterinnen und Arbeiter – nicht nur bei Bosch – stehen vor Herausforderungen, die weit über die bisherige Interessenvertretung im Rahmen der Sozialpartnerschaft hinausgehen. Die Globalisierung und die Möglichkeit, die Produktion innerhalb kürzester Zeit in einen anderen Winkel der Erde zu verlagern, hat den Gewerkschaften den Boden unter den Füßen weggezogen. Unter diesen Umständen verwandelt sich ihre nationalistische Perspektive, die darin besteht, die Wettbewerbsfähigkeit der „eigenen“ Unternehmen zu stärken, weil – so die gewerkschaftliche Logik – nur so die Arbeitsplätze erhalten werden können, in die Rechtfertigung grenzenloser Angriffe. Im globalen Wettbewerb konkurrieren die Belegschaften in Deutschland mit denen in Ungarn, Polen, Bulgarien, Rumänien, China, Vietnam usw. So werden die Löhne und Arbeitsbedingungen im ärmsten Land zur weltweiten Referenz.

Auf dieser Grundlage stimmen die Gewerkschaften Stellenabbau, Lohnsenkungen und schlechteren Arbeitsbedingungen zu. Sie spielen einen Standort gegen den anderen aus, spalten die Arbeiter von ihren Kollegen in anderen Ländern und boykottieren jeden ernsthaften Widerstand. Doch nicht nur das. Die Gewerkschaften stehen im wachsenden internationalen Handelskrieg auch an der Seite „ihrer“ Regierung.

In einem Artikel zur europaweiten ökonomischen und politischen Krise schrieben wir kürzlich: „Die Gewerkschaften unterstützen auch die Kriegspolitik ihrer Regierungen. Hatte die IG Metall früher den Slogan ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ propagiert, setzt sich nun für die Umwandlung von Autofabriken in Panzerschmieden ein.“

Trotz aller persönlichen Korruption und Verkommenheit unter den Gewerkschaftsfunktionären, die sich für lohnende Posten in Aufsichtsräten und Vorstandsetagen verkaufen, ist deren Rolle als verlängerter Arm der Aktionäre und Manager, als Betriebspolizei, die für Ruhe und Ordnung unter den Belegschaften sorgt, Ausdruck dieser objektiven Entwicklungen.

Der Versuch, die IG Metall zu ersetzen, aber die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unangetastet zu lassen, ist daher zum Scheitern verurteilt. Simsek meint: „Der Betriebsrat wurde nicht gewählt, um als Marionetten des Arbeitgebers zu agieren. Seine Aufgabe ist es, die Interessen der Belegschaft zu vertreten.“

Das ist nicht ganz richtig. Auch wenn Betriebsräte nicht verpflichtet sind, jede Schweinerei der Unternehmen abzusegnen, ist ihre Klassenzusammenarbeit gesetzlich festgelegt. Die Betriebsräte waren nach der Novemberrevolution 1918 von der SPD-Regierung unter Friedrich Ebert als Antwort auf die Arbeiter- und Soldatenräte gesetzlich verankert worden. Das Betriebsverfassungsgesetz, dass im November 1952 in Kraft trat und im Januar 1972 grundlegend novelliert wurde, steht in dieser Tradition.

Das Gesetz verpflichtet Unternehmensleitung und Betriebsrat zur „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ und zur Geheimhaltung. Es untersagt dem Betriebsrat, zum Arbeitskampf aufzurufen. Stattdessen ist er verpflichtet, einmal im Monat „über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen“. (§ 74 Abs. 2 BetrVG)

Diese gesetzlich geregelte Klassenzusammenarbeit richtet sich gegen die Arbeiter und die Verteidigung ihrer Interessen mit „Maßnahmen des Arbeitskampfes“.

Die nun beginnende Befreiung der Belegschaften aus der Zwangsjacke der Gewerkschaften ist daher ein gewaltiger Fortschritt. Nötig ist nun ein nächster beherzter Schritt nach vorn: Erstens der Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees, die über alle Standorte, Unternehmen, Branchen und Ländergrenzen hinweg die Arbeitermassen vernetzen und vereinen, um den Aktionären, Banken und Konzerneignern erfolgreich entgegenzutreten.

Zweitens, erfordert die Verteidigung von Belegschaftsinteressen eine Perspektive, die über den Kapitalismus, also über das Privateigentum an den Produktionsmitteln und das Nationalstaatensystem, hinausgeht: Arbeiterinteressen vor Profitinteressen, internationale Vereinigung statt nationale Spaltung.

Wir laden alle ein, die sich der IG Metall entgegenstellen wollen, mit uns Kontakt aufzunehmen und die notwendigen nächsten Schritte zu diskutieren. Schreibt uns eine Whatsapp unter +491633378340 und füllt das untenstehende Formular aus.

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