Der in Berlin lebende italienische Künstler Costantino Ciervo ist kein Unbekannter, wenn es um Kontroversen geht. In den letzten vier Jahrzehnten hat der politische Künstler und Sozialist Kunstwerke geschaffen, die sich mit der Notlage einiger besonders ausgebeuteter Teile der Arbeiterklasse befassen: undokumentierte Arbeiter in Italien, Migranten, die beim Überqueren des Mittelmeers ihr Leben verlieren, Palästinenser und ihre Verfolgung.
Seine jüngste Ausstellung „COMUNE – Das Paradox der Ähnlichkeit im Nahostkonflikt“ stellt das Leid der Palästinenser in ganz neuem Lichte dar. Die Werke sollen zu einer Debatte über die Hintergründe der Verfolgung durch Israel und die imperialistischen Mächte anregen. Die WSWS hat sich in einem früheren Artikel mit dem Inhalt der Ausstellung befasst.
Schon oft ist Ciervo im Laufe seiner Arbeit auf die Gleichgültigkeit oder sogar Feindseligkeit von Kulturinstitutionen gestoßen. Die Reaktion auf seine jüngste Ausstellung kam jedoch aus unerwarteter Quelle: Der Kurator des Museums, Tamás Blénessy, brachte seine Ablehnung der Ausstellung offen bei der Vernissage zum Ausdruck, als er am 15. November die Einführungsrede zur Ausstellung im Potsdamer Museum Fluxus hielt.
Nach der Vernissage sprach ich mit Costantino Ciervo und bat ihn, seine Meinung zu der Einführungsrede des Kurators darzustellen.
Ciervo: Ich habe den Text des Kurators erst drei Stunden vor Ausstellungsbeginn erhalten, sodass ich mich nicht richtig vorbereiten konnte. Aber es reichte aus, um zu verstehen, dass die Positionen, die der Kurator in seinem Text vertrat, die extremste Form zionistischer Propaganda darstellen. Ich habe hastig neun Punkte zusammengestellt, in denen ich die wichtigsten Positionen des Textes widerlegte, und sie dem Publikum in meiner Antwort an den Kurator vorgetragen.
Ich begann damit, dass ich erklärte, ich sei mit seiner Einleitung nicht einverstanden, und sagte, sie enthalte Argumente, die aus dem Mund des israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu stammen könnten – einem Mann, der ein Verbrecher und Terrorist ist und einen Terrorstaat anführt. Netanjahu, derselbe Mann, der vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Völkermordes angeklagt ist, und gegen den ein internationaler Haftbefehl vorliegt. Tamás‘ Erklärung zur Eröffnung der Ausstellung repräsentierte die extremsten rechten Positionen der Zionisten.
In seinen einleitenden Bemerkungen räumte der Kurator ein, dass er sich in seinen Ausführungen auf einen Essay des virulenten zionistischen Bloggers Ilya Bezruchko stütze. In Anlehnung an Bezruchko behauptete der Kurator skandalöserweise, dass es in Wirklichkeit keine Palästinenser gebe, und dass der Begriff „Palästinenser“ ein Konstrukt sei. Es ist auch sehr wichtig, dass er von diesem Punkt an in seiner Rede den Ausdruck „Palästinenser“ nie mehr verwendete – stattdessen sprach er von Arabern oder Menschen, die keine Israelis seien.
Seiner Meinung nach waren die Araber die Aggressoren im Nahen Osten. Er ging sogar so weit, zu behaupten, dass es keine Besetzung palästinensischer Gebiete gegeben habe, und dass die Araber durch den Neid auf die viel fortgeschrittenere israelische Zivilisation in das Gebiet gelockt worden seien, in dem doch die Palästinenser seit Jahrtausenden leben. Das ist natürlich alles bösartiger Unsinn.
In meiner Antwort an Tamás wies ich darauf hin, dass das Konzept der Nation erst mit der Entwicklung des Kapitalismus entstanden ist. Völker mit anderen Traditionen als der jüdischen Tradition lebten seit Tausenden von Jahren im Gebiet des Nahen Ostens. Erst später, mit der Gründung des Islam im Jahr 630, setzten sich allmählich islamische Traditionen durch, sodass die historische Identität dieser Völker nicht anhand eines Nationalstaates definiert werden kann. Der Begriff „Palästina“ kam nicht aus dem Nichts; er wurde bereits vor 2000 Jahren von den Römern verwendet, dann von den Briten, als sie das Mandat zur Verwaltung des Gebiets hatten, und er wird auch von den Vereinten Nationen verwendet. Ich habe auch andere Beispiele angeführt, wie die der indigenen Völker Australiens oder Nordamerikas. Sie hatten seit Tausenden von Jahren eine Identität, und das Konzept der Nation entstand erst viel später, unter dem Kapitalismus.
Im Falle der Palästinenser fand der erste Angriff auf ihr Land 1948 mit der Gründung Israels statt – eine völlig ungleiche Offensive von mit modernen Waffen ausgerüsteten Einwanderern gegen Hirten und Bauern. Damals wurden 700.000 Palästinenser aus dem Land vertrieben. Diese israelische Offensive wurde dann mit dem Sechstagekrieg 1967 vertieft und ausgeweitet. Vor dem Hintergrund dieser Aggression durch aufeinanderfolgende israelische Regierungen, die von den USA und anderen imperialistischen Ländern bis zum Äußersten unterstützt wurden, war der bewaffnete Kampf der Palästinenser zur Verteidigung ihres Lebens und ihres Landes völlig gerechtfertigt.
Das war, kurz gesagt, mein Argument, dem das Publikum aufmerksam folgte.
Steinberg: Das Ziel Ihrer Ausstellung ist es, die gemeinsamen Interessen und Wurzeln der Völker des Nahen Ostens hervorzuheben. An meinem Arbeitsplatz arbeite ich mit arabischen Kollegen zusammen, die Verwandte in Gaza haben: Sie sind über die Handlungen der faschistischen israelischen Regierung entsetzt. Gleichzeitig weisen sie den Vorwurf zurück, dass ihre Opposition gegen das Regime in Israel mit Antisemitismus gleichzusetzen sei, und sie weisen darauf hin, dass die historische Definition des Semitismus für alle arabischen und hebräischen Völker in der Region gilt.
Auf dieser Grundlage ist die einzige Lösung für den Konflikt ein einziger Staat für arabische und jüdische Arbeiter, der auf dem Prinzip der sozialen Gleichheit basiert. Die Vereinten Nationen haben jedoch letzte Woche Donald Trumps kürzlich angekündigten „Friedensplan“ gebilligt, der den Palästinensern jede echte Souveränität verweigert. Könnten Sie dies im Zusammenhang mit Ihrer Ausstellung kommentieren?
Ciervo: Das Ziel der Ausstellung ist es, die gemeinsamen Interessen und Wurzeln der Völker des Nahen Ostens hervorzuheben. Ich behaupte, dass die jüdischen und arabischen Völker, die seit fast 100 Jahren miteinander im Konflikt stehen, letztlich kulturell und historisch viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben.
Ich habe dies anhand von Figuren veranschaulicht, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellt wurden – um Ähnlichkeiten aufzuzeigen, indem ich Juden und Israelis nebeneinanderstelle und so eine Zugehörigkeit von Individuen, eine Verbindung von Brüdern und Schwestern heraufbeschwöre. Es geht um Geschwister (in den Porträts meist Zwillinge), und dieser Ausgangspunkt ist für mich sehr wichtig, denn ich denke, dass die Lösung in diesem Gebiet namens Palästina nur eine Ein-Staaten-Lösung sein kann.
Wenn zwei Staaten nebeneinander aufgebaut werden, dann wäre ein Staat, nämlich Israel, viel mächtiger, würde mehr Unterstützung erhalten, hätte mehr Geld, während der zweite Staat unterentwickelt bliebe und weniger oder gar keine Unterstützung erhalten würde. Das würde bedeuten, dass dieser zweite Reststaat unweigerlich als Plattform für billige Arbeitskräfte für Israel dienen würde. Und diese Ungleichheit würde natürlich wiederum Gewalt erzeugen. Die Ungleichheit in der Wirtschaftsleistung wird früher oder später zu einer erneuten Eskalation der Gewalt führen.
Meiner Meinung nach ist die einzige Antwort eine Ein-Staaten-Lösung, eine Föderation zweier Bevölkerungsgruppen, die zusammenleben. Die Grundlage muss eine Verfassung sein, die zwei unterschiedlichen historischen und kulturellen Traditionen volle Freiheit gewährt, basierend auf sozialer Gleichheit. Ich habe versucht, dieses Konzept in der Ausstellung in Form einer Nähmaschine auszudrücken, die den Umriss Palästinas von 1917 näht, und in der Mitte das von Israel besetzte Gebiet. Die stetige Verkleinerung Palästinas durch den israelischen Expansionismus in den letzten 75 Jahren zu dem winzigen Reststaat Gaza und einigen Dörfern im Westjordanland wird im Hintergrund der in der Ausstellung gezeigten Porträts dargestellt.
Steinberg: 1948 warnten die Trotzkisten der Vierten Internationale vor dem utopischen und reaktionären Charakter einer „zionistischen Lösung“ der Judenfrage und erklärten, dass sich jüdische und arabische Arbeiter nur auf der Grundlage einer vollständigen Abkehr vom Zionismus vereinen könnten. Im selben Jahr warnten auch führende jüdische Intellektuelle in den USA, wie Albert Einstein und Hannah Arendt, vor den Gefahren eines religiös geprägten jüdischen Staates im Nahen Osten .
Ciervo: Ich weiß von dem Brief, den Einstein und Arendt an die New York Times geschrieben haben. Zu dieser Zeit stand Menachem Begin an der Spitze der Terrororganisation Irgun. Begin war zu Besuch in New York, um Unterstützung und Geld für seine Terroraktivitäten zu sammeln, aber Einstein und Arendt wollten nichts mit ihm zu tun haben und verglichen seine Ideologie mit der des faschistischen Regimes in Deutschland. Begin gründete daraufhin die Likud-Partei, die heute von Netanjahu geführt wird und die faschistische Tradition Begins fortsetzt.
Steinberg: Ihre Aktivitäten zur Aufdeckung der Unterdrückung des palästinensischen Volkes reichen mindestens auf zwanzig Jahre zurück, und im Laufe Ihrer Arbeit haben Sie komplexe mechanische Konstruktionen mit bildender Kunst kombiniert. Die Porträts für Ihre aktuelle Ausstellung sind sorgfältig handgemalte Porträts, die auf Mustern basieren, die von künstlicher Intelligenz generiert wurden. Unter kapitalistischen Bedingungen stellt KI eindeutig eine große Gefahr für die künstlerische Produktion dar, aber Ihre Arbeit zeigt, wie diese neue Technologie positiv genutzt werden kann. Könnten Sie dazu etwas sagen?
Ciervo: Künstliche Intelligenz ist ein mächtiges Werkzeug, das für negative und destruktive Zwecke, aber auch für konstruktive Zwecke eingesetzt werden kann. Nun, speziell in Bezug auf Israel muss man verstehen, dass KI jeden Tag eingesetzt wird, um Netanjahus Plan für ein Groß-Israel zu verwirklichen, das sich vom Jordan bis zum Mittelmeer erstreckt. Die bekannte Einheit 8200, eine Abteilung der israelischen Streitkräfte, ist für verdeckte Operationen zuständig. Die Einheit 8200 beschäftigt einige der besten Köpfe auf dem Gebiet der KI, um Gesichtserkennungstechniken einzusetzen, um Gegner zu identifizieren, zu kontrollieren und zu eliminieren, beispielsweise mit ferngesteuerten Drohnen. Nach Angaben von Mitgliedern der israelischen Regierung erstrecken sich ihre Gegner auf die gesamte Bevölkerung Palästinas. Dies macht deutlich, dass diese Technologie dazu eingesetzt wird, ein ganzes Volk zu unterdrücken und möglicherweise zu eliminieren.
Mein Ansatz ist metaphorisch. Ich habe eine reale Person aus dem Internet genommen, ein Foto eines Palästinensers, und die KI angewiesen, eine Kopie dieser Person als Zwilling zu erstellen, wobei die Merkmale in Bezug auf Kleidung und Symbole nicht so palästinensisch, sondern eher jüdisch sein sollten. Ich möchte zeigen, dass sie sich zwar in ihrer Kleidung unterscheiden, aber in Bezug auf ihre körperlichen und gesichtsbezogenen Merkmale Geschwister sind. Als Mitmenschen leben sie in der Gesellschaft unter demselben Stress und demselben Druck, und so haben sie mehr gemeinsam als nur ihr Aussehen. Die Ursachen für ihre Unterschiede sind äußerlich, es sind besonders die Prioritäten der großen imperialistischen Mächte, die sie spalten, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten.
Steinberg: Sie haben kürzlich an einer Versammlung hier in Berlin teilgenommen. Bei dieser Versammlung sprach der Vorsitzende der WSWS-Redaktion, David North, das Thema KI an und kündigte den Plan an, einen Chatbot, Socialism AI, als Ressource für das Studium sozialistischer und marxistischer Analysen zur Verfügung zu stellen.
Ciervo: Ich halte diese Idee für sehr gut. Das Problem mit KI ist das Privateigentum. Solange KI in privater Hand existiert und entwickelt wird, meine ich damit Leute wie Sam Altman, Bill Gates, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und vor allem Peter Thiel – einen Milliardär, dem Plattformen wie Palantir gehören, ein mächtiges Unternehmen, das beispielsweise seine Dienste den Geheimdiensten in den USA zur Verfügung stellt. KI muss aus dem Privatbesitz herausgenommen und in die Hände der Arbeiterklasse und der Ausgebeuteten gelegt werden. Sie muss transparent sein, sie muss Open Source sein, damit das Wissen transparent bleibt und für progressive Zwecke genutzt wird. Dazu gehört auch der Aufbau einer neuen Plattform, um beispielsweise marxistische Ideen, die oft missbraucht oder falsch dargestellt werden, gezielt zu verbreiten.
Ich finde es sehr gut, dass Socialism AI entsteht. Es gibt alle möglichen technischen, politischen und anderen damit verbundenen Fragen, die sich stellen, wenn man so etwas macht, aber im Grunde bin ich sehr, sehr begeistert, dass KI auf diese Weise für eine Welt ohne Privateigentum und kapitalistische Ausbeutung entwickelt wird.
