Europäische Regierungen verurteilen US-Friedensvorschlag für Ukraine

Der französische Außenminister Jean- Noël Barrot (Mitte) im Gespräch mit dem niederländischen Außenminister David van Weel (rechts) und der rumänischen Außenministerin Oana Toiu bei einer Tagung im Europäischen Rat, 20. November 2025 [AP Photo/Geert Vanden Wijngaert]

Die europäischen Großmächte haben mit Entsetzen auf den Vorschlag für einen Friedensplan reagiert, den die Trump-Regierung mit Moskau ausgehandelt hat. Sie sind verzweifelt bemüht, den Krieg gegen Russland um jeden Preis fortzusetzen, während sie im Innern eine „Kriegswirtschaft“ einführen und den Sozialstaat kappen. Unisono haben sie den Plan als „Kapitulation“ vor Russland zurückgewiesen.

Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot erklärte am Donnerstag bei einem Treffen der europäischen Außenminister: „Frieden darf keine Kapitulation sein. Man muss verstehen, dass die Ukrainer, die seit über drei Jahren heldenhaften Widerstand gegen einen schamlosen Akt der Aggression Russlands leisten, jede Form von Kapitulation immer ablehnen werden.“

Barrots schwedische Amtskollegin Maria Stenergård wies den amerikanisch-russischen Deal mit den Worten zurück: „Ohne die Ukraine kann es keinen Frieden geben, und Europa muss mit am Verhandlungstisch sitzen.“ Der deutsche Außenminister Johann Wadephul betonte, dass Frieden eine Kapitulation Russlands erfordere. Er erklärte, die Vorbedingung für einen Frieden sei, dass Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine beendet. Es müsse einen Waffenstillstand ohne Vorbedingungen geben, und alle müssten dann gemeinsam auf Augenhöhe verhandeln.

Die europäischen Mächte haben jedoch kaum Hoffnung, Moskau zur Kapitulation zu bewegen und zu erreichen, dass Russland seine Position auf dem Schlachtfeld aufgibt. Wadephuls Äußerung verdeutlicht die völlige Diskrepanz zwischen der offiziellen Propaganda in Europa und der militärpolitischen Realität in der Ukraine. Dass Washington hinter dem Rücken seiner nominellen „Verbündeten“ in Europa einen Deal mit Moskau unterzeichnet, zeigt klar, dass das Narrativ über den Krieg, das der europäischen Öffentlichkeit präsentiert wurde, eine Lügengeschichte war.

In diesem Krieg ging es niemals darum, die westliche Demokratie gegen die russische Aggression zu verteidigen. Auch waren die russischen Truppen keine unfähigen Trottel, die unverhältnismäßig hohe Verluste gegen überlegene, von der Nato unterstützte ukrainische Truppen erlitten. Die imperialistischen Nato-Mächte hatten das ukrainische Regime bis an die Zähne bewaffnet und das reaktionäre, postsowjetisch-kapitalistische Regime Russlands erfolgreich so lange provoziert, bis es die Ukraine angriff. Sie alle wetteifern miteinander in einem Krieg mit dem Ziel, Russland zu zerschlagen und die Vorherrschaft über Eurasien zu sichern. Dieser Krieg ist jedoch gescheitert und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zutiefst unpopulär. Die Ukraine ist ausgeblutet.

Trumps Abkommen würde einen Großteil der Ostukraine unter russischer Kontrolle belassen, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ausschließen und Selenskyj zu baldigen Neuwahlen zwingen – in einer Situation, in der seine Umfragewerte eingebrochen sind und er die Wahlen abgesagt hat. Es würde die Rohstoffabkommen zementieren, die Washington und nicht den europäischen Mächten den Löwenanteil an den seltenen Erden der Ukraine verschaffen. Washington würde 50 Prozent der Gewinne aus dem Wiederaufbau der Ukraine erhalten, den Europa mit etwa 100 Milliarden Dollar finanzieren müsste.

Letzten Freitag brachen bei einem Treffen zwischen US-amerikanischen und europäischen Diplomaten in Kiew, bei dem US-Heeresminister Daniel Driscoll den Vorsitz führte, erbitterte Konflikte aus. Laut Protokoll, das die Financial Times  von anwesenden Vertretern aus Europa erhalten hat, teilte Driscoll den europäischen Unterhändlern unmissverständlich mit, dass sie kein Mitspracherecht bei den Bedingungen des Friedensabkommens hätten.

Driscoll erklärte in einer unflätigen Schimpftirade: „Wir verhandeln nicht über Details. Dieser Mist muss ein Ende haben (...) Die US-Streitkräfte lieben die Ukraine und stehen hinter der Ukraine, aber die ehrliche Einschätzung des US-Militärs ist, dass sich die Ukraine in einer sehr schlechten Lage befindet. Der beste Zeitpunkt für Frieden ist jetzt.“

US-Geschäftsträgerin Julie Davis, die ranghöchste amerikanische Diplomatin in Kiew, äußerte sich gegenüber den versammelten europäischen Regierungsvertretern ähnlich: „So sehr wir die Ukraine auch bei der Fortsetzung des Kampfs unterstützen können, es gibt Grenzen. (...) Vieles deutet darauf hin, dass Russland über eine starke industrielle Basis verfügt, und es ist eine Frage der Zeit, bis die Ukraine ein Abkommen schließen muss.“

Europäische Zeitungen und Regierungsvertreter verurteilten das Abkommen von dem rücksichtslosen Standpunkt aus, ein Frieden mit Russland sei inakzeptabel. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung  bezeichnete den Vorschlag als vollständige Kapitulation, nicht nur der Ukraine, sondern auch des freien Westens vor dem Aggressor. Die französische Libération nannte ihn ein „schreckliches Ultimatum, das eher zur Mafia passen würde“. Mehrere europäische Politiker forderten eine militärische Eskalation gegen Russland.

Bundeskanzler Friedrich Merz forderte letzte Woche erneut, der Ukraine Taurus-Raketen für Langstreckenangriffe auf Russland zu liefern. Der französische Präsident Emmanuel Macron kündigte an, er werde trotz des massiven Widerstands der Bevölkerung weiterhin versuchen, französische oder europäische Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Der französische Generalstabschef Fabien Mandon forderte die französische Bevölkerung ausdrücklich auf, sie müssten sich darauf vorbereiten, in einem Krieg gegen Russland „ihre Kinder zu opfern“.

Derartige Äußerungen unterstreichen die enorme Gefahr einer militärischen Eskalation, die noch immer besteht – vor allem da die Trump-Regierung mit neuen Kriegen vom Iran bis Venezuela droht.

Europas hysterische Kriegspropaganda wird nicht von einer realen militärischen Bedrohung angetrieben, sondern von den imperialistischen Interessen und der undemokratischen politischen Agenda des europäischen Kapitalismus. Die Europäische Union hat dreimal so viele Einwohner wie Russland (143 Millionen), und ihre Wirtschaftsleistung beträgt mehr als das Siebenfache der russischen (zwei Billionen US-Dollar). Russlands Streitkräfte haben weder die Kapazität noch die Absicht, Europa zu erobern.

Die europäischen Mächte hoffen, durch den Ukrainekrieg ihre wirtschaftlichen und militärischen Interessen in Eurasien durchzusetzen und – untrennbar damit verbunden – ein ultrareaktionäres politisches Klima im Inland zu schaffen. Ganze 89 Prozent der westeuropäischen Bevölkerung lehnt die Entsendung von Truppen in die Ukraine ab, und es herrschte massive soziale Wut über das Vorhaben, den Krieg mit Rentenkürzungen und anderen Austeritätsmaßnahmen zu finanzieren. Doch der Krieg wurde fortgesetzt und hat die USA und die europäischen Staaten immer tiefer in Schulden gestürzt, während der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg politisch unterdrückt wurde.

Der ehemalige französische Präsident François Hollande schilderte in einem Artikel in Le Monde einige der politischen Kalkulationen, die dem Militarismus der europäischen Mächte zugrunde liegen. Er beschrieb ein Alptraum-Szenario des europäischen Kapitalismus: Der Sturz Selenskyjs könnte einen Dominoeffekt auslösen, der zum Zusammenbruch von Regierungen in ganz Europa, auch in Frankreich, führen könnte, da Macron zutiefst unpopulär ist und eine schwere soziale Krise im Land herrscht.

Hollande verurteilte den Plan der Trump-Regierung als „vollständigen Bruch mit Europa und der seit 75 Jahren bestehenden Ordnung“. Er beklagte, dass die europäischen Mächte die Ukraine nicht aggressiver mit Langstreckenwaffen ausgerüstet hätten. Er erklärte: „Wir müssen sagen, dass wir so viele Waffen wie möglich schicken werden. Wir waren zu vorsichtig mit Waffenlieferungen. Wir dachten, Putin würde die atomare Bedrohung nutzen, wenn wir Raketen und Raketenbatterien schicken.“

Hollande äußerte schwerste Befürchtungen hinsichtlich des Überlebens des unpopulären ukrainischen Regimes, in das die europäischen Mächte hunderte Milliarden Euro investiert haben: „Wenn Selenskyj das unterzeichnet, ist er erledigt; wenn er es nicht unterzeichnet, kann er vernichtet werden. Trumps Plan sieht bereits seine Absetzung vor, da er Wahlen in 100 Tagen fordert.“

Angesichts der tiefen Unpopularität der Regierung und der unlösbaren Haushaltskrise in Frankreich und anderen europäischen Staaten fürchtet Hollande, der Sturz des Selenskyj-Regimes könnte auch andere Regierungen zu Fall bringen. Er erklärte: „Alles hängt zusammen: der Zustand unserer Demokratie, die Stärke unserer Verteidigung und die Glaubwürdigkeit unserer Sicherheit. ... [Selenskyj] ist zur ersten Verteidigungslinie des europäischen Kontinents geworden. Deshalb ist es unsere Pflicht, ihn zu unterstützen. Wenn er stürzt, ist unsere Sicherheit gefährdet. Und eines Tages werden auch wir stürzen.“

Die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse in Europa erfordert den Aufbau einer sozialistischen Antikriegsbewegung in der Arbeiterklasse. Das Blutvergießen und die Ausplünderung der europäischen Bevölkerung der kriegsführenden Staaten müssen aufhören. Zudem müssen weitreichende politische und historische Lehren aus diesem Krieg gezogen werden, der Millionen von Todesopfern auf ukrainischer und russischer Seite gefordert hat.

Seit der Auflösung der Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus in Osteuropa durch die stalinistischen Bürokratien hat der Kapitalismus völlig dabei versagt, Wohlstand und Frieden zu schaffen. Der brudermörderische ukrainisch-russische Krieg, den die Nato angezettelt hat, ist beispielhaft für die Katastrophen, die daraus hervorgegangen sind. Um noch größere Katastrophen zu verhindern, müssen die Kämpfe der Arbeiterklasse vereint und die Regierungen in ganz Europa gestürzt werden, um die Europäische Union im Rahmen des internationalen Kampfs für den Sozialismus durch die Vereinigten Sozialistische Staaten von Europa zu ersetzen.

Loading