„Wir lassen uns verdammt nochmal nicht einschüchtern“

Friedliche Demonstration in Berlin gegen Völkermord in Gaza und Polizeigewalt in Deutschland

Am Samstag demonstrierten erneut über 1.000 Menschen in Berlin gegen den Völkermord in Gaza und die brutale Gewalt, mit der die Polizei gegen Kriegsgegner vorgeht. Am Tag zuvor hatte das Vorgehen der Polizeikräfte bei der Auflösung des Palästina-Protest-Camps vor dem Bundeskanzleramt für Entsetzen gesorgt. Mit Schlägen, Tritten, gewaltsamer Abdeckung des Gesichts (einschließlich Mund und Nase), brutaler Fixierung am Boden und der Anwendung von „Schmerzgriffen“ war die Polizei gegen friedlich protestierende Menschen vorgegangen.

Demonstration gegen Genozid in Gaza, Berlin 27.04.2024

Spontane Demonstrationen, die sich daraufhin auf der Sonnenallee bis in die Abendstunden zusammenfanden, wurden umgehend und brutal aufgelöst. Rund 160 Personen wurden „vorübergehend festgenommen“, wie die Polizeibehörde verlauten ließ, über 40 Strafermittlungsverfahren seien eingeleitet worden.

Die hemmungslose Gewalt der Polizei war auf der Demonstration am Samstag, die auf dem Hermannplatz in Berlin-Neukölln stattfand, ein wichtiges Thema. Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), darunter Angela Niklaus und Tamino Wilck als Kandidaten für die Europawahl am 9. Juni, waren vor Ort und diskutierten mit Teilnehmern über die aktuelle Entwicklung und die Notwendigkeit, die internationale Bewegung gegen Genozid mit der wachsenden Opposition der Arbeiterklasse weltweit gegen Krieg zu verknüpfen.

Silke war schon durch frühere Berichte auf der World Socialist Web Site über die Proteste gegen den Völkermord auf die SGP aufmerksam geworden. Sie habe sich deshalb sofort auf der WSWS „über die Partei informiert“. Die WSWS sei ihrer Meinung nach eine der wenigen, die die Wahrheit über die Anti-Genozid-Demonstrierenden schreibe. „Die meisten Nachrichten entsprechen ja nicht dem, was wir tun. Wir werden abgestempelt als Verbrecher, als Kriminelle.“

Sie sei selbst „halb deutsch, halb palästinensisch. Wir wissen, wie es in Gaza ist. Wir wollen verdammt nochmal, dass das Morden aufhört!“ Die Räumung des Protest-Camps habe sie nicht selbst miterlebt, aber im arabischen Fernsehen verfolgt: „Die deutsche Presse zeigt nur, was sie will“.

Über die Brutalität, mit der das Protest-Camp geräumt wurde, ist Silke fassungslos. „Aber wir lassen uns verdammt nochmal nicht einschüchtern!“

„Wie sie mit den jungen Leuten umgehen, die nichts machen, die doch nur ‚free palestine‘ rufen, denen man den Mund zuhält, die weggetragen werden … Also das erinnert mich an die DDR-Zeit“, in der sie geboren wurde und aufgewachsen ist. Die Parallele mache sie sprachlos und wütend.

Begeistert begrüßt Silke die zehntausenden Demonstrierenden in den USA. „Die Protestcamps in den USA sind der Knaller, die sind toll. In den USA gehen sogar Professoren auf die Straße. Es gehen kluge Menschen auf die Straße.“

Sie ist „entsetzt, wie sich das hier entwickelt. Das man uns hier kleinmachen will, die Demo fünfmal anhält, damit viele Leute gehen. Man muss eine Stunde auf dem Boden sitzen, es werden Leute einfach festgenommen. Nur weil man kritisch ist und sich äußert. Das darf nicht so weitergehen. Sonst kommen wir in eine Schleife, die wir alle nicht wollen. Ich glaube, das ist vielen Menschen gar nicht bewusst.“

Als Reporter der SGP den Zusammenhang zwischen dem Völkermord in Gaza und der Kriegseskalation gegen Russland ansprechen, zeigt sie sich sehr besorgt über die Kriegsgefahr: „Putin ist ja auf einmal auch ein Feind, den alle verteufeln. Ich hoffe, dass uns das nicht in einen Dritten Weltkrieg bringt. Das macht mir große Sorge, was da los ist.“

Elisa, die Schülerin in der 10. Klasse ist, berichtet über Versuche von Lehrern und der Schulleitung, oppositionelle Meinungen zur Regierungspolitik zu unterdrücken. „Meine Lehrerin sagt, dass wir so etwas wie Pro-Palästina-Demos lassen sollten, weil das antisemitisch sei.“ Die Lügen der Lehrerschaft und der Medien verfangen bei ihren Mitschülern jedoch nicht. „Sehr kritisch“ seien ihre Mitschüler „gegenüber der Schule und gegenüber den Lehrern und deren Reaktion. Wir hatten zum Beispiel einmal ein Kulturfest, wo Palästina-Flaggen auf einmal verboten wurden, obwohl Israel-Flaggen natürlich zugelassen waren. Dagegen haben sich die Schüler gewehrt, aber dann haben wir Schulverweise bekommen.“

Auch ihre Freundin Lina, die schon studiert und die SGP während der Unterschriftenkampagne zur Zulassung zur EU-Wahl kennengelernt hatte, berichtet über zahlreiche Protesten. „Von den Studierenden werden sehr viele pro-palästinensische Versammlungen“ organisiert, gegen die die Hochschulleitung bisher nicht vorgehe.

Zu den staatlichen Repressionen gegenüber pro-palästinensischen Demonstrationen erklärt Elisa: „Man sieht oft, dass bei Demonstrationen, die gegen die Meinung der großen Parteien sind, solche Unterdrückung einfach passiert und das finde ich katastrophal.“

Sie hat erst am Morgen mitbekommen, dass sich in den USA eine Massenbewegung an den Universitäten gegen den Genozid entwickelt. „Ich war sehr überrascht, dass sich Leute an Universitäten zusammengeschlossen haben. Ich finde das sehr schön.“

Angesprochen auf die Notwendigkeit, den Kampf gegen die Regierungspolitik zu intensivieren, erklärte Lina, dass es notwendig sei, den „Druck zu verstärken“. Es sei „so verrückt“, dass „ein Staat Waffen liefert, das ist doch keine Konfliktlösung, sondern unterstützt den Krieg“. Elisa fügte hinzu, dass oft gesagt werde, dass „Deutschland kein Geld mehr“ habe. „Doch wohin geht das Geld? An irgendwelche Kriege?! Ich dachte, Deutschland steht für Frieden! Das ist nicht zu verstehen.“

Lina findet die sozialistische Perspektive, die sie erst durch die SGP kennengelernt hat, sehr richtig. Die grundsätzliche Haltung der SGP zur Kriegsfrage - ihr Kampf gegen den Genozid, aber auch ihre Opposition zum NATO-Stellvertreter-Krieg gegen Russland - habe sie besonders überzeugt. Deshalb habe sie der SGP für die Wahlzulassung ihre Unterstützungsunterschrift gegeben. „Das ist etwas, was mir in der Regierung fehlt, wo sie sich so klar für Krieg aussprechen“ und „Länder mit Waffen beliefern.“

Lisa, die auf der Pro-Palästina-Demonstration am Potsdamer Platz war, teilt die beängstigenden Erfahrungen mit der Polizei, von denen auch Silke betroffen war. „Ich wurde auch eingekesselt. Ich bin 16 Jahre alt und habe nichts getan. Und dann wurde ich von einem Polizisten herumgeschubst.“ Die Polizei machte auch vor Gewalt gegenüber kleinen Kindern nicht Halt. „Ein fünfjähriges Kind war neben mir, das einfach so herumgeschubst wurde von den Polizisten.“ Auch das Kind wurde aus der Einkesselung „erstmal nicht herausgelassen“.

Von der brutalen Räumung des Protest-Camps hat Lisa über Bekannte und Social Media erfahren und ist „wirklich schockiert. Teilweise wurden Leute zusammengeschlagen, obwohl sie sich nicht gewehrt haben. Und das sehe ich einfach als katastrophal an.“

In der Diskussion betonen Mitglieder der SGP, dass es entscheidend ist, sich auf die Arbeiterklasse zu orientieren und diese auf einer sozialistischen Grundlage gegen Völkermord und Krieg zu mobilisieren. Diese grundlegende Perspektive ist neu für Elisa und Lina, aber trifft auf ihre Unterstützung. „So hab ich es noch nicht gesehen“, erklärt Lina. Bisher glaubte sie, dass man immer erstmal Forderungen „an die da oben stellen“ müsse.

Shadi war Zeuge beim Überfall der Polizei auf das Protest-Camp vor dem Bundeskanzleramt. Das Camp wurde „sehr plötzlich und brutal“ aufgelöst. „Es ist offensichtlich, wie brutal und auch feige” gegen die Protestierenden vorgegangen wird und “auch rechtlos“. Die Maßnahmen und Vorgehensweise gegen das Camp werden seiner Meinung “am Ende keinen Bestand haben, wenn das vor Gericht landet.“

Der Kampf der Studierenden in den USA findet Shadis volle Unterstützung. Studierende hier sollten sich die „mutigen Studenten in den USA und sonstwo in der Welt, die Protest-Camps gestartet haben und wirklich mutig gegen Polizeigewalt dort bestehen“, zum Vorbild nehmen. Hier in Deutschland wäre es dringend nötig, sich mit den historischen Fragen ernsthaft und ehrlich auseinanderzusetzen, die dem Palästina-Konflikt zugrunde liegen. Man habe seit Jahrzehnten beigebracht bekommen „immer bedingungslos hinter Israel zu stehen” trotz unzähliger nachgewiesener Menschenrechtsverbrechen. „Doch so schlimm wie jetzt, war es noch nie.“

Die militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten wie in der Ukraine haben alle ihre Ursache in der „Geo-Politik“ der NATO-Staaten und „hängen miteinander zusammen“, betont Shadi. „Wenn ein großer Krieg ausbricht, besteht die Gefahr einer nuklearen Auseinandersetzung, was auch das Ende der Welt bedeuten kann.“

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