Die Volkswagen AG baut in den kommenden neun Jahren 30.000 Arbeitsplätze bei der Kernmarke VW ab, davon 23.000 Stellen in Deutschland. Das teilten Betriebsrat und Konzernleitung am Freitagmorgen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Wolfsburg mit.
Der Abbau von mehr als jeder siebten der aktuell 200.000 Stellen weltweit ist Teil des von VW und Betriebsrat ausgehandelten sogenannten „Zukunftspakts“. Die Milliarden-Belastungen durch den Betrug bei den Abgas-Werten – deren Ausmaß noch längst nicht feststeht, da immer neue Vergehen aufgedeckt werden – sowie die Investitionen in Elektromobilität und Digitalisierung werden so auf die Belegschaften abgewälzt.
Unterstützt vom Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh erklärte VW-Markenchef Herbert Diess: „Mit dem Zukunftspakt macht Volkswagen einen großen Schritt nach vorne.“ Der Abschluss des „Zukunftpakts“ sei die Voraussetzung für einen Investitionsplan bis 2021, den der Aufsichtsrat gestern beraten hat. Dabei geht es um die Verwendung von weltweit rund 100 Milliarden Euro.
Das operative Ergebnis bei VW soll sich laut „Zukunftspakt“ bereits 2020 um 3,7 Milliarden Euro im Jahr verbessert haben. Zusätzlich zu den Einsparungen des letzten Sparprogramms sollen drei Milliarden Euro an den deutschen und 700 Millionen Euro an den internationalen Standorten eingespart werden. Vom vorangegangenen Sparprogramm stehen angeblich noch rund 2,5 Milliarden Euro an Kostensenkungen aus.
Betriebsratschef Osterloh gab dem Job-Kahlschlag nicht nur seinen Segen, sondern bezeichnete ihn als Erfolg. „Mit dem Zukunftspakt ist ein unkontrollierter Stellenabbau vom Tisch“, sagte er und betonte, dass alle deutschen Standorte erhalten blieben. Auch betriebsbedingte Kündigungen seien für die Stammbelegschaft in den nächsten Jahren ausgeschlossen. Gehen müssen dafür nun vor allem Leiharbeiter. Allein im Werk Emden sind das 3000, die schon Ende des Jahres ihren Arbeitsplatz verlieren, wie die Ostfriesen-Zeitung berichtete.
Statt betriebsbedingten Kündigungen soll der Arbeitsplatzabbau über Frühverrentung stattfinden. Das sei zu begrüßen, lobte Osterloh. IG Metall, Betriebsrat und Konzern einigten sich darauf, die Arbeitsplätze derjenigen, die in Rente gehen, nicht nachzubesetzen. Zusätzlich sollen Altersteilzeit- und Vorruhestandsregelungen Arbeiter aus den Werken drängen.
„Volkswagen muss schnell wieder Geld verdienen und sich für den kommenden Sturm wappnen“, sagte Diess auf der Pressekonferenz. Die Produktivität der deutschen VW-Werke in Wolfsburg, Hannover, Braunschweig, Emden, Kassel, Salzgitter, Zwickau und Chemnitz soll um 25 Prozent steigen.
Der Kernmarke VW, die Modelle wie Golf und Passat produziert, ist von den Aktionären in der Vergangenheit stets die viel zu geringe Rendite vorgeworfen worden. Von 100 umgesetzten Euro sollen nur rund 1,60 Euro als Gewinn übrig geblieben sein, wovon dann auch noch Zinsen und Steuern abgingen. Mithilfe des mit dem Betriebsrat in den letzten Monaten ausgehandelten „Zukunftspakts“ will VW die Rendite in den nächsten vier Jahren auf vier Prozent verdoppeln.
Die Verhandlungen über den massiven Arbeitsplatzabbau wurden vorwiegend zwischen VW-Personalvorstand Karlheinz Blessing und Betriebsratschef Osterloh geführt. Streckenweise war auch VW-Markenchef Herbert Diess beteiligt, um Blessing zu unterstützen. Diess und Blessing stellten die Komponentenwerke in Braunschweig, Kassel und Salzgitter zur Disposition. Vor allem das Motorenwerk in Salzgitter sollte zerschlagen und die Produktion ausgelagert werden.
Mit Blessing und Osterloh saßen auf beiden Seiten des Verhandlungstischs Vertreter der IG Metall und der SPD. Personalvorstand Blessing hatte seine berufliche Karriere im Vorstand der IG Metall – er war Büroleiter von IGM-Chef Franz Steinkühler – und der SPD begonnen, wo er unter dem Vorsitzenden Björn Engholm kurze Zeit Bundesgeschäftsführer war.
1994 zog Blessing als Nachfolger von Peter Hartz, der zu VW wechselte, als Arbeitsdirektor in den Vorstand der Dillinger Hütte und der Saarstahl AG. 2011 übernahm er dort den Chefposten und verordnete den Beschäftigten ein rigoroses Sparprogramm. Blessing ist ein enger Vertrauter des ehemaligen IGM-Vorsitzenden Berthold Huber, der bis vor kurzem auch dem VW-Aufsichtsrat vorsaß.
In den Verhandlungen mit Osterloh forderte Blessing als Konzernvertreter durchgreifende Maßnahmen und machte die Arbeiter in den Komponentenwerken für die geringe Rendite verantwortlich. Diess forderte eine klarere Orientierung auf die Produktion von Elektro-Autos. Zuletzt mischte sich auch Konzernchef Matthias Müller in die Verhandlungen ein.
Herausgekommen ist die Entscheidung, 30.000 Arbeitsplätze abzubauen. Die drei Komponentenwerke erhielten Zusagen für die Elektromotoren- und Batterieproduktion. Neue Elektroautos sollen am Stammwerk in Wolfsburg und in Zwickau gebaut werden. In Braunschweig soll weiterhin das Batteriesystem für den Modularen Querbaukasten gefertigt werden, zusätzlich übernimmt das Werk die Entwicklung und Fertigung des Batteriesystems für den so genannten Modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB). Kassel wird den MEB-Antrieb entwickeln und neben der E-Getriebefertigung den Zusammenbau des Gesamtsystems verantworten. Salzgitter wird die MEB-Antriebskomponentenfertigung übertragen. Zudem soll am Standort eine Pilotanlage für Batteriezellen und Zellmodule aufgebaut werden.
Dennoch werden in diesen drei Werken, in denen aktuell rund 30.000 Arbeiter beschäftigt sind, wahrscheinlich die meisten der 23.000 Stellen in Deutschland abgebaut werden. Das könnte gerade für jüngere Arbeiter noch Folgen haben. Denn wenn nicht genügend ältere Kollegen in Rente gehen, können sie gezwungen werden, in anderen Werken zu arbeiten.
Außerdem erhöht eine geringe Belegschaftsstärke die Gefahr, der nächsten Sparrunde zum Opfer zu fallen. Angesichts der angespannten internationalen politischen und wirtschaftlichen Lage kann diese früher kommen, als gedacht. Schon jetzt kritisieren Medien den Pakt als zu schwach. Spiegel Online bezeichnet ihn als „halbherzigen Rettungsplan“, weil keine Werke geschlossen und die Löhne der Stammbeschäftigten nicht gekürzt würden.
Während die Belegschaft so die Kosten des Abgasbetrugs sowie der Umstellung eines großen Teils der Produktion zahlen muss, kleben die verantwortlichen Vorstände auf ihren Sesseln. Neben dem ehemaligen Vorstandschef Martin Winterkorn, der seinen Platz im Zuge des Abgasbetrugs bei Aufrechterhaltung seiner Bezüge räumte, ist kaum jemand aus der Führungsetage für die Milliarden-Verluste zur Rechenschaft gezogen worden.
Möglich machte dies die enge Zusammenarbeit zwischen Konzernvorstand, Eigentümern, IG Metall und Betriebsrat. Diese war bei VW schon immer enger als anderswo, weil neben den Gewerkschafts- und Betriebsratsvertretern auch noch die SPD-geführte Landesregierung Niedersachsens als VW-Miteigentümer im Aufsichtsrat sitzt. Sie ist aber in den letzten eineinhalb Jahren noch intensiviert worden.
Als sich die Aufdeckung des Abgasbetrugs abzeichnete und der langjährige Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Karl Piëch am 25. April 2015 von seinem Amt zurücktrat, übernahm Berthold Huber als IGM-Vorsitzender und jahrelanger stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG seinen Posten. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass ein Gewerkschaftsfunktionär zum obersten Kontrolleur eines so großen Konzerns berufen wurde. 620.000 Beschäftigte stellen jährlich 10 Millionen Fahrzeuge her. Zuletzt betrug der Jahresumsatz über 213 Milliarden Euro.
Im September 2015, in der Amtszeit Hubers, wurde dann der Abgasbetrug bekannt. IG Metall, Betriebsräte und SPD haben im Aufsichtsrat die Mehrheit und hätten die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen können. Doch unter der Ägide des Aufsichtsratschefs Huber sicherten sich die Vorstände nicht nur ihre Posten, sondern auch noch Rekord-Boni-Zahlungen.
Derweil entwarfen IG Metall und Gesamtbetriebsrat die notwendigen Schritte, um die Kosten für den Abgasbetrug vollständig auf die Belegschaften abzuwälzen. Erst als alles in die Wege geleitet war, übertrug der Aufsichtsrat die Leitungsfunktion Hans Dieter Pötsch, dem langjährigen VW-Finanzchef. Die institutionalisierte Zusammenarbeit der Sozialdemokraten und gewerkschaftlichen wie betrieblichen Funktionäre wird fortgesetzt.